Die Schöne von Marienbad

In Marienbad bin ich einer Plastik begegnet, die mich sehr interessiert hat:

Die Nackte, die überrascht wird. So interpretierte ich den Akt.

Da ich selbst Akt zeichne, aber auch schon in Ton Akte geformt hatte, weiß ich um die Schwierigkeit, einen Akt rundherum adäquat darzustellen.
Aus jedem Winkel muss die Figur stimmen.

Hier, bei dieser Skulptur scheint das wirklich der Fall zu sein. Nur der Kopf schien mir – zunächst – etwas zu groß. Jetzt bin ich mir nicht mehr ganz sicher.
Anzumerken ist bei den folgenden Fotos, daß die Skulptur noch nicht gereinigt worden ist. Das tut aber m.E. nichts zur Sache.

Dies ist eine Traumposition. Jeder Muskel scheint angesprochen. Es ergeben sich diverse Verkürzungen, die stimmen sollten.

Die Figur liegt auf dem rechten Gesäßbacken, der dadurch verformt wird. Der Übergang des linken Oberschenkels in die Gesäßpartie hinein ist durch eine entsprechende leichte Krümmung angezeichnet.

Auch von vorne passt alles. Zeichnerisch ist eine solche Position natürlich wunderbar, da viele Verkürzungen auftreten und zu gewichten ist, daß Knie und Unterschenkel näher zum Betrachter sind als der Rest des Körpers.

Ich finde, daß der Hersteller dieser Skulptur eine besonders prickelnde Position gewählt hat. Prickelnd deswegen, weil es hier keinerlei “langweilige” Ansicht gibt, egal wo man gerade steht. In jeder Ansicht gibt es Besonderheiten. Das ist bei manchem Aktzeichnen nicht der Fall, weswegen manche Zeichner des öfteren ihre Position wechseln, um eine ausdrucksstärkere Ansicht zu bekommen.

37 thoughts on “Die Schöne von Marienbad

  1. Nennen wir sie Susanna. Ja, die im Bade. Wie sehr wollte sie ungesehen bleiben? Bei dem kulturellen Hintergrund – die Schande des Nackseins fällt nicht auf den Beobachter, sondern auf die Beobachtete zurück – vermutlich sehr. Und doch war die Nackte (und in der Antike auch der Nackte) ein ständig wiederkehrendes Motiv. Hat man sich eigentlich schon mal gefragt, wo die damals ihre Modelle hernahmen? Wo das doch derart verwerflich war?

    Diese hier hat sich freilich einen wenig geeigneten Platz ausgwählt, wollte sie unbeobachtet der Freikörperkultur frönen. Da sie aus Stein und gemacht, gewollt ist können wir aber unterstellen, dass das nicht ihre Absicht war, sondern die eines, vermutlich männlichen, Künstlers. Gehen wir also eher auf ihn ein.

    Ja, die Figur ist gelungen. Natürlich könnte man dies auch von einer absichtsvoll verfremdeten Gestaltung sagen, etwa einer nur angedeuteten Figur. Einigen sorgfältig angeordneten Eisenstäben, die man nur aus größerer Entfernung für eine weibliche Figur halten könnte.

    Aber das war offenbar nicht die Absicht. Also hatte der Gestalter auch darauf zu achten, dass die Figur dem gewählten, ein wenig idealisierten Vorbild ähnlich wird, d.h. die Proportionen passen, womöglich besser als bei der berühmten Odaliske auf dem Bild von Ingres.

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    1. Ich kann mich erinnern, mal eine übergroße Plastik eines Mannes gesehen zu haben. Die war perfekt.
      Beim aus-dem-Stein-hauen darf man ja keinen Fehler machen, sonst ist alles verloren. Das beste Beispiel ist wohl der David von Florenz. Unvorstellbar, so etwas zu können.

      In öffentlichen Parks tut sich abstrakte Kunst schwer. Aber in Marienbad fand ich sogar das ! Ich zeige das demnächst…

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    2. Ihre Modelle nahmen sie sich wahlweise bei Familien-Angehörigen und -/oder Prostituierten. Wurde ausnahmsweise einmal Ähnlichkeit mit lebenden, bekannten Personen entdeckt, war der Skandal groß. Siehe Goyas Maja, nackt oder unbekleidet.

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  2. Mit persönlichem Ausdruck im Gesicht, mit wachem Blick wohl auch, um Zuschauer auf gebührlichem Abstand zu halten.
    Ich glaube, sie möchte nur in Ruhe ein Sonnenbad nehmen. Und daß sie schön aussieht, geht nur die Sonne und den Himmel etwas an.

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  3. Ich finde es immer wieder interessant, wie unterschiedlich wir an Dinge herangehen. Gerade bei dir merke ich das sehr stark. Denn all die Punkte, die du ansprichst (“aus jedem Winkel “muss” die Figur stimmen”), wären mir egal; bzw. das “muss” sehe ich ganz und gar nicht so.
    Für mich ist wichtig: “Spricht diese Kunst etwas in mir an?” Empfinde ich z.B. ein erotisches Prickeln (was hier möglicherweise gewollt war vom Künstler) oder freue mich an der natürlichen Schönheit der Frauen; oder regt es mich irgendwie zum Nachdenken an?
    Klar, wenn ich selber künstlerisch tätig wäre, würden mich die Details mehr interessieren. Weil ich daran dann versuchen würde zu erkennen, wie ich dem, was mir wichtig ist, besonders gelungen Ausdruck verleihen könnte. Aber muss ich nicht erstmal wissen, WAS genau ich eigentlich ausdrücken möchte, und WARUM?

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    1. Ich gebe Dir recht.

      WENN ein Künstler so ehrgeizig ist, wie dieser, eine solche Position perfekt darzubieten, dann muss er auch den Ansprüchen genügen.

      Was hier gewollt ist, hängt vom zeitlichen Kontext ab. Es ist zudem ein öffentliches Werk.
      Für MICH persönlich (und das ist unwichtig eigentlich ) verbindet sich erotisches Prickeln mit Verboten.
      Eine Frau wie diese kann nichts dafür, perfekte Rundungen zu haben. Sie wirkt begehr lich dadurch. Will sie das?! Die Frage ist wohl kaum zu beantworten.

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      1. Hm, da schließen sich eine Menge interessanter Fragen an: Muss eine Frau “perfekte” Rundungen haben, um begehrlich zu wirken? Wäre es schlimm, wenn Frauen begehrlich wirklich WOLLEN? Wollen Männer auf Frauen nicht attraktiv / begehrlich wirken?

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        1. Muss eine Frau “perfekte” Rundungen haben, um begehrlich zu wirken?
          Nein

          Wäre es schlimm, wenn Frauen begehrlich wirklich WOLLEN?
          Eigentlich nicht.

          Wollen Männer auf Frauen nicht attraktiv / begehrlich wirken?
          Das wollen sie auch.

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  4. Perspektive ist beim Figürlichen wohl immer das Problem. Und in dieser Position sicher die Hauptsache. Die Betrachterinnen werden durch den Teich/Brunnen auf definiertem Abstand gehalten – ob der Künstler das wohl einkalkulieren konnte?

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    1. Näher ran kam man nicht.
      Aber ich denke, ausser dem Kopf ist diese Skulptur wirklich wohl gelungen. Die Auflage auf dem Gesäß hätte mich noch stark interessiert, denn das ist ja auch immer ein Knackpunkt.

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  5. In der Tat eine lohnende Position fürs Zeichnerisch/Bildnerische. Vorbild sicherlich Dürers berühmter Holzschnitt eines liegenden Aktes, mittels dessen er die Technik perspektivischen Zeichnens veranschaulicht. Haltung und Perspektive sind jedenfalls sehr ähnlich. Im Bode-Museum in Berlin ist übrigens eine fulminant ausdrucksstarke Terracotta-Figur ausgestellt. Ein unbekannter Florentiner Meister hat im 16. Jahrhundert dieses Werk geschaffen, es beeindruckt mich bei jedem Besuch aufs Neue. U. a. hier: https://wordpress.com/post/derdilettant.wordpress.com/5913 hatte ich das verarbeitet.

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  6. Tatsächlich sehr gelungen. (Der Kopf scheint auch mir etwas zu groß und zu portraithaft zu sein, und das Haar zu geordnet). Dass sie ungereinigt ist, schadet ihr nicht, im Gegenteil.

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