
Das folgende Foto von Myriade in ihrer neuen Folge der Impulswerkstatt lies mich an so manche Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst denken.
Vorab zu sagen: Ich bin Gegenwartskunst grundsätzlich zugetan, habe so manches Interessante in den letzten Jahren sehen dürfen.
Das Foto oben lässt mich an ein Magazin zu aktuellen Trends in der Keramik denken. Da schaue ich ab und an rein und bin bisweilen verblüfft über so manche Versuche der Neudefinition von Keramikkunst. Dieses Leinwandwerk oben jedenfalls wirkt wie eine Skizze zu einem solchen Werk.
Ein umgedrehtes, möglicherweise hohles U ist mit farbiger Struktur überhäuft, möglicherweise wie aufgedruckt. Als wäre das nicht genug, ist diese Form “verkleistert” mit einem bläulichen Gewebe, das offenbar sogar links ein Vergrösserungsglas einschliessen mag.
So weit so gut.
Keramisch liese sich so etwas konstruieren. Mit Metallresten und Paperclay als “Klebemittel”.
Die Frage ist nur: Zu welchem Zweck? Was soll das Werk transportieren, was will es sagen? Will es Kunst negieren oder das Zufällige zur Kunst erheben?! Die Idee dahinter sollte zwar nicht unbedingt unmittelbar, aber dennoch auffindbar sein.
“Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann“
Mit Kunst ist es genau so. Nicht jede Kunst erschliesst sich, oft braucht es zusätzliche Erklärungen, um sie einzuordnen und ihre Intention zu verstehen.
Manche neuzeitliche Plastik auf Plätzen habe ich schon verschmiert oder sogar beschädigt gesehen.
Stellt man einen David auf, wie von Michelangelo in Florenz, da stört sich wohl niemand, da er naturalistisch gefasst ist.
Dagegen ist Gegenwartskunst in vielen Fällen erklärungsbedürftig. Manches “Experimentelle” erschliesst sich nur einem ausgewiesenen Kunstkenner, deswegen frage ich mich manchmal, wieso man solche ehrgeizige Kunst öffentlich auf einem Platz zeigt.
Letzthin war ich in der Schirn und sah die wahrlich großartige Videoshow vom John Akomfrah. So durchgerüttelt war ich selten von einer Präsentation. Das war politische Kunst. Eine in Teilen ästhetische Schau, auch mit erschreckenden Bildern anbei und zugleich eine Geschichtsstunde. Eine Saga über die Menschheit an sich.
Das Gezeigte war im Grunde selbsterklärend. Aber das hies keinesfalls, daß danach nicht intensive Diskussionen zum gezeigten Material folgten.
Danach sind wir noch in ein weiteres Museum gegangen, die günstige Tageskarte verleitete dazu.
Was wir aber da zu sehen bekamen, ebenfalls Gegenwartskunst, hatte augenscheinlich weit weniger Gewicht. Das meiste wirkte willkürlich. War es natürlich nicht, konnte es nicht sein, aber es fiel ab. Hätten wir John Akomfrah davor nicht gesehen, würden wir vielleicht mehr als das eine oder andere Werk enträtselt haben. So aber sind wir enttäuscht aus diesem Museum gegangen.
Kunst muss vorranschreiten, sie kann nicht stehen bleiben, sonst wird es langweilig. Ewig alte Meister “anbeten” kann es nicht sein. Dennoch müssten m.E. neue Entwürfe direkt anregen können, ohne eine längere Interpretation zur Hand nehmen zu müssen.
Aber ich merke, auch diese letzte Definition von lesbarer Gegenwartskunst greift nicht völlig. Was gute Gegenwartskunst ist, wird wohl immer Streitpunkt bleiben.

Das ist klar, der in Keramik macht und das oft sehr phantasievoll, der sieht Keramik. Jeder sieht nicht einfach das, was er sehen will, sondern, was ihn beschäftigt, was in seinen Gedanken naheliegend ist und folglich logisch scheint.
Ich zum Beispiel sehe ein Hufeisen, freilich transparent, entsprechend leicht erscheinend, ja, fast schwerelos – also im Gegensatz zum üblichen, grob eisernen und doch recht gewichtigen gebogenen Eisen. Also eine Darstellung eines klassischen Widerspruchs.
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“Jeder sieht nicht einfach das, was er sehen will, sondern, was ihn beschäftigt”.
Genauso ist es. 🙂
Zum Widerspruch:
Ich könnte ja ein großes Hufeisen aus Ton machen und den Interesssenten verblüffen, wenn es wenig wiegt, da hohl und mit dünnen Wänden. 🙂
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Letztlich seit Erfindung der Fotografie befindet sich die (bildende) Kunst in der Krise. Generationen von Künstlern und zunehmend auch Künstlerinnen ringen um die Frage, was der Inhalt ihres Kunstwollens sein könnte, ohne etwas Vorhandenes nachzuschaffen. Wie du Schreibst: “Kunst muss voranschreiten”. Oder wie ich gerade im Tagebuch des jungen Paul Klee lese: “…Und unzeitgemäß etwas leisten zu wollen kommt mir suspekt vor.” Beschäftigt man sich mit Biografien von Künstlern stellt man fest, dass sie alle mit der Frage eines “Alleinstellungsmerkmals” ringen. Der Erfindungsreichtum dessen, was daraus hervorgeht, ist grenzenlos (etwa Baselitz’ Trick die Bilder kopfüber aufzuhängen), aber doch endlich. Vielleicht kommen durch die KI ganz neue Herausforderungen und Möglichkeiten ins Spiel. Grundsätzlich aber denke ich, Kunst wird produziert, weil es ein Bedürfnis gibt, einen Markt, und einen Betrieb (Künstlerinnen studieren an Kunsthochschulen und werden dort Professorinnen, die wieder Künstlerinnen heranziehen usw.) Und wenn irgendwann alles durchgespielt ist, bleibt eben nur Epigonentum. Dann muss man eben etwas anderes machen, oder sich damit abfinden.
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Einverstanden, und: Mit dem Fotografieren als Kunst sieht es nicht viel anders aus, auch da gibt es Akademien, Professoren, Nachwuchs, Markt und Nachfrage. Das Video kam, entwickelte sich. Installationen, Performances. KI in welcher Form auch immer steht vor den Toren. Und dann? Ist der Wunsch des Menschen, sich über ein Medium in der sichtbaren Welt originär auszudrücken, damit jeder Möglichkeit beraubt? Ist nur noch Epigonentum möglich? Die „Postmoderne“ ist ja schon weitgehend nichts anderes als Zitat und Collage, nicht im herkömmlichen Sinne schöpferisch.
Oder wird der menschliche Geist immer wieder und gegen alle Vorhersagen dem Stoff neue Formen und Aussagen abringen?
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Dank Dir!
Noch ist ja das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.
Weil ich aber auch ein Licht auf die Keramik warf: Da scheint ja wirklich schon alles mal probiert worden zu sein. Doch ist Keramik eine Nischensparte und kaum einer kennt alle Ausprägungen und Versuche.
Was KI anbelangt, da weiß man noch recht wenig, was sie zu leisten vermag. Im Schach etwa, wo ich mich gut auskenne, hat sie schon die Spielweise der großen Meister beeinflusst. Da KI bisher kaum spielbare Stellungen durchaus für spielenswert befinden kann, versuchen die Großmeister dieses Urteil in ihrer Praxis evtl. mit einzubeziehen.
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Die KI scheint in der Tat ein Tool, um menschliche Möglichkeiten, sei es intellektuell, sei es kreativ, zu erweitern. Von Lösungsvorschlägen der KI wird man sich einiges abgucken können! Bleibt nur zu hoffen, dass sie uns nicht dereinst überfordert und wir in ihr nicht nur unseren Meister, sondern Gott finden, den wir dann anbeten müssen 😉
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Wenn es der Menschheit weiter gut geht, angesichts der jetzigen Zeit, dann könnte sie etwa Genmutationen entwerfen, die unsere Leistungen verstärken. Vielleicht endlich auch friedlicher, das wäre was!
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Danke für diesen interessanten Beitrag, lieber Gerhard ! Da wirfst du Fragen auf, die eigentlich nicht zu beantworten sind. Was ist Kunst? Ob jemand als Künstler*in anerkannt oder gar berühmt wird, hängt ja nicht nur von seinem Werk sondern auch von vielen Zufällen ab: findet sich ein Mäzen oder Galerist um die Werke überhaupt erst sichtbar zu machen, treffen die Kunstwerke den Nerv der Zeit, was meint die nicht unbedingt objektive Kritik etc.
Ich bin schon lange zu ausschließlich subjektiver Beurteilung übergegangen: was mir gefällt, gefällt mir, was mich anspricht, spricht mich an, relativ unabhängig vom Urteil anderer. Aber auch bei diesem Zugang bekommt man im Normalfall nur solche Werke zu sehen, die irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben.
Ich habe mir John Akomfrahs “Space of Empathy” angesehen und seine Vorstellung seiner Kunst angehört. Sehr eindrucksvoll, Wort und Bilder! Man muss aber auch sagen, dass man mit riesigen Videowänden und schnell wechselnden Einstellungen ganz andere Möglichkeiten hat als mit einer Leinwand oder einem Block Ton zumal der schnell wechselnde optische Eindruck genau den Nerv der Zeit trifft.
Nochmals vielen Dank!
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Zu deinem ersten Absatz: Picasso hatte Kahnweiler und anderem, die ihn bekannter machten. Das dachte ich mir immer.
Was Du zu John Akomfrah und dem Zeitgeist sagst, stimmt. Die drei bzw. in der 3. Installation 5 Leinwände wurden meditativ bespielt, langsam, aber immer aufeinander bezogen im Inhalt. Man war maximal gefordert. Nach dem 1. Raum war ich “platt”, aber es ging ja noch weiter, allerdings mit etwas anderer Gewichtung.
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Es muss wirklich sehr eindrucksvoll gewesen sein
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Eine ziemlich lange, aber sehr gute und plausible Erklärung, interessante Gedankengänge sind das, Gerhard und das Bild gefällt mir außerordentlich gut!
Könnte auch eine besonders gut gelungene und künstlerisch erweiterte Skizzierung deiner feinen Tonarbeiten sein und schriebst hier ja auch, dass sie aus einem Kunstbuch herausfotografiert ist.
Liebe Grüße, Hanne
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Das Foto ist von Myriade. Ich denke,sie hat es in einer Ausstellung fotografiert.
Danke für deine Gedanken, Hanne.
Der Text musste notwendigerweise etwas lang sein, ist ja sonst nicht mein Ding.
In der Keramik will ich weiterhin nicht sonderlich experimentell sein.
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Oh, das wusste ich nicht, habs im Blog von Myriade offenbar übersehen und hier bei dir etwas missverstanden.
Aber ansonsten meinte ich ja auch nicht, dass du in der Keramik experimentell sein solltest, sondern dieses schöne Bild zusätzlich inspirierend zu deinen ja auch immer wieder so tollen Skizzen sein könnte.
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Ja, das ist ja das Spiel, daß man eines der drei Fotos von Myriade in der aktuellen Impulsrunde nimmt und etwas dazu in einem eigenen Beitrag sagt.
Ich habe auch heute wieder für ein Keramikobjekt skizziert, Hanne, aber wann ich das umsetzen werde, wissen die Götter :-:-)
Danke Dir !
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Ich habe jetzt eine Rezension über Akomfrah in FFM im letzten November nachgelesen und verstehe, dass man gleich danach eigentlich nichts anderes mehr sehen kann,
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Seine drei Schauen waren stark. Schon die erste hätte man erstmal verdauen müssen, so wirkmächtig war sie. Doch leider ging das nicht.
Mehr als 2 Stunden solches Material zu verfolgen verlangt enorme Kraft.
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Feiner Text. Der letzte Satz entspricht dem, was ich kürzlich von Macke zitierte: wenn jemand fragte, wie müsste eine Kunst der Gegenwart aussehen, so liesse sich das eigentlich gar nicht beantworten. JohnnAkomfrah werde ich gleich mal googeln.
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Danke dir!
Ich hatte in meiner kleinen Schilderung des Besuchs der Schirn Lionel Feiniger ausgelassen. Obwohl sehr gute, auch handwerkliche Kunst, war mir Akomfrah deutlich näher.
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Ja, das ist ein Beispiel für die gewaltige Wirkung bewegter Bilder auf uns Menschen, die auch großartige Bilder wie jene von Feininger einfach überstrahlen
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„Die Tyrannei der Bilder“, sagte mir kürzlich eine Malerfreundin, die, so wie ich, feststellte, dass sie keine längeren Texte mehr lesen kann. Wie denn erst stille und stumme Bilder betrachten! Ein Text hat jedenfalls noch ein zeitliches Entwicklungsmoment, da kann man mitgehen, „sich mitnehmen lassen“, aber ein Bild? Wieviel innere Beteiligung ist da vonnöten!
Die bildenden Künstler setzen, um sich behaupten zu können, entweder Minimales oder Furios-Farbgewaltiges oder (und) stark Bewegtes ein. Im ersten Fall (minimales) hoffen sie auf eine Resonanz in den verbliebenen Ruhezonen der Seele, im zweiten Fall wollen sie Gefühle erregen, im dritten Kopf, Herz und Gefühl überwältigen, so dass Mensch sich nicht wehren kann und gezwungen ist hinzuschauen. Und so geht man wie betäubt und gehäutet aus solchen Werkschaus.
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“Wie denn erst stille und stumme Bilder betrachten! ”
Nach Akomfrah kam in der Schirn ja Feininger (in dieser Reihenfolfge für mich so gewählt).
Ich stand trotz des “Lärms” der Videoschau und dem Betäubtsein dann vor so manchem Werk von Feininger etwas länger, gerade vor seinen Spätwerken, in der er der Abstraktion sehr nahe kam.
Der Reichtum seines Handwerks nahm mich gefangen.
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Ja, die mangelnde Konzentration, die dazu führt, dass man keine längeren Texte mehr lesen kann, ist vor allem bei den Jugendlichen ein Problem. Was würdest du als längeren Text bezeichnen? Und in welche deiner Künstlerkategorien würdest du dich selbst einordnen? Ich bin heute neugierig 😉
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Danke für dein Interesse, Myriade. Ich gehöre zu keiner dieser Kategorien.
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Dann muss es ja aber noch mehr als diese drei Kategorien geben…
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Myriaden davon sicherlich 😉 Aber braucht es eine Kategorie?! Ich lernte mal einen guten Künstler kennen, der die Bezeichnung Künstler für sich ablehnte. Das rockte mich damals.
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Ich halte auch nicht viel von Kategorien, wollte aber nur bei Gerda anfragen, wohin sie sich selbst einreiht, weil sie ja nur drei negative Kategorien genannt hat 😉
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Ihre Antwort aber war klar vorauszusehen. Du hättest Journalistin werden sollen 😉
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Da hast du recht. Auf konkrete Detailfragen antwortet Gerda nie …..
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Es gab ja auch Videokunst im nächsten Museum, doch konnte die mit Akomfrah keinesfalls mithalten.
Feiningers Bandbreite war schon beachtlich, er wurde ja auch 85. Besonders gefielen mir seine Werke ganz nahe der Abstraktion.
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Ich werde mir noch mehr Akomfrah ansehen auf einem größeren Bildschirm. Feininger gefällt mir auch sehr
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😀
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Ich habe meinen Schülern und Schülerinnen “Deutsch für Ausländer”empfohlen, bei Tests mit multiple choice Aufgaben auf die Wörtchen “immer”, “nie”, “selten”, “manchmal” usw zu achten. Bei den ersten beiden (immer, nie) sollen sie “falsch” ankreuzen, bei den anderen “richtig”. So schafften sie es auch bei dürftigen Sprachkenntnissen durch die Tests. Der Satz “Auf konkrete Detailfragen antwortet Gerda nie …..” ist vermutlich falsch. 😉
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Daran sieht man, dass man zu einer validen Beurteilung von Kenntnissen keine multiple choice Tests heranziehen soll 🙂
Gut, ich ändere mein “nie” auf “praktisch nie” 🙂 🙂
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“höchst selten”?
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Ja, damit kann ich auch leben …
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