Eine besondere Form der Demütigung/A special form of humiliation

 

English below:

Eine Geschichte, wie sie aktueller nicht sein kann:

Der katholische Pfarrer meiner Kindheit war eine wahre Schreckensgestalt!
Mir riss er einmal aus Wut während des Religionsunterrichts das Ohr ein!
Als meine brave Mutter sich daraufhin in einem Brief an ihn wandte (das fiel ihr sicherlich alles andere als leicht, da sie gläubig erzogen war ), suchte er sie sofort wutschnaubend auf, zwang sie, vor ihm niederzuknien und um Verzeihung für ihren Brief zu bitten!
Sie tat es, was blieb ihr übrig. Meine Mutter war ja schliesslich durch ihre Mutter, die zweimal täglich zur Kirche ging, geprägt.

Nachdem mein Vater über den Besuch des Pfarrers erfahren hatte, verbat sie ihm, um Vergeltung nachzusuchen.
Wenn du da hingehst, sind wir geschiedene Leut!“.
Mein Vater musste auf Rache verzichten, was ihm sicher sehr, sehr schwer fiel.

Von der Demütigung meiner braven Mutter durch den Pfarrer erfuhr ich erst viele Jahre später, als Erwachsener.  Ich weiß noch, wie da schäumende Wut in mir aufstieg. Doch ich war hilflos, denn der Pfarrer war längst gestorben.

The village pastor of my childhood was a tyrant, a true horror figure!
He once tore my ear out of anger over anything during religion lessons!
When my brave mother then moderately complained in a letter to him (the complaining was certainly anything but easy to her), he sought out her furious, forced her to kneel before him and ask for forgiveness for her letter!
She did that, of course, what was left to her. My mother was influenced by her deeply religious mother who went to church twice a day.

My mother now forbade my father, after he had learned about the pastor’s visit, to seek retribution.
“If you go there, we are divorced people!”.
My father had to renounce revenge, which was certainly very, very difficult for him.

From the humiliation of my brave mother by the pastor, I learned late as an adult. I still remember how foaming rage rose in me. But I was helpless, because the pastor had died long ago.

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37 thoughts on “Eine besondere Form der Demütigung/A special form of humiliation

  1. Was für ein Fiesling! Unglaublich. Ich finde auch, daß deine Mutter mutig war. Sie hat versucht, sich für dich einzusetzen und dein Vater hätte das sicherlich auch getan. Der Depp ist eindeutig der Pfarrer! Ich hoffe, daß ist in seinem Leben noch irgendwann bei ihm angekommen.

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    1. Das ist bei ihm sicher nicht angekommen .

      Meine Mutter hatttet sicher nicht geahnt, was ihr passieren würde. Sie hatte ja auch, das weiss ich genau, Depressionen in ihrem Leben und so ein Geschehnis war schlicht Gift für sie.

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  2. Es gibt Erzählungen, die man zuerst nicht glauben kann. Und doch sind sie wahr. Es gibt allerdings auch positive Geschichten, die leider über all diese schrecklichen Schicksale vergessen werden und die nichtsdestotrotz nichts aufwiegen können.

    Meine Mutter hat innerhalb eines Jahres beide Eltern verloren. Ihre Mutter durch einen Schlaganfall, den Vater durch einen Motorradunfall. Sie war 17 Jahre alt, es war unmittelbar nach Kriegsende im Jahre 1946. Sie war Vollwaise und stand mit ihren beiden jüngeren Geschwistern allein da. Das Engagement der Verwandten hielt sich in engen Grenzen. Das war natürlich der Zeit geschuldet. Kaum jemand hatte nicht zu knabbern. Es gab im Städtchen einen Dechant, der meiner Mutter und ihren Geschwistern regelmäßig (sie erzählt heute noch davon, dass dies immer genau dann zu passieren schien, wenn ihre Not am Größten war), finanziell aushalf. 50 Mark waren damals viel Geld. Mein Vater kam 1949 aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück. Die beiden lernten sich kennen und ab dieser Zeit stand er ihr zur Seite. Diesen Dechant habe ich in meiner Zeit als Grundschüler auch noch kennengelernt. Für mich war er ein alter strenger Herr mit dem wir in unserer Klasse dennoch unsere Spässchen gemacht haben. Ich erinnere mich, dass er immer mit Elan seine Aktentasche auf das Lehrerpult warf. Wir haben ordentlich Pfeffer aufs Pult gestreut. Er dachte vielleicht, es sei eine allergische Reaktion, als er kurz in einer Wolke aus Pfeffer verschwand. Ich habe mittags meiner Mutter von unserem Streich berichtet. Da erzählte sie mir von der Hilfe, die der Mann ihr während einer schweren Zeit gewesen ist.

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  3. Aber toll, dass deine Mutter den Brief überhaupt geschrieben hat! Eine der wenigen Geschichten, die mir über die Kindheit meines Opas (Jahrgang 1901) erzählt worden sind, ist dass er als Kind in der Schule oft völlig grundlos geschlagen wurde (damals “normal”), und dann Zuhause regelmäßig von Vater oder Stiefmutter gleich noch einmal, denn “der Lehrer oder Pfarrer wird schon recht gehabt haben”. Er selbst war dann als Vater seinen beiden Kindern gegenüber wohl auch nicht so ganz einfach… .
    Von daher finde ich es bewundernswert, dass deine ja offenbar selbst sehr “gläubig” erzogene Mutter ihrer Empörung über deine Misshandlung trotzdem Ausdruck gegeben hat, auch wenn sie den Widerstand gegen den Pfarrer aufgrund ihrer Prägung und Erziehung letztendlich nicht aufrecht erhalten konnte.

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    1. Ja, das ging über ihre Kräfte. Sie ordnete sich unter und wurde furchtbar gedemütigt.
      Und dann vermutlich nochmal durch meinen Vater durch Sichabwenden, weil er auf seine Rache verzichten musste.

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  4. Es ist traurig und schockierend immer wieder zu lesen, dass Vertreter der Kirche ihr Mandat missbrauchen und die wahre Liebe und Vergebung nicht in ihren Herzen tragen. Auch für sie gilt das Jesus-Wort: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

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  5. Was für ein Terror. Könnte da auch einiges zu beisteuern, an Erfahrung. Ich glaube, für diesen abstrusen Machtmißbrauch zahlt diese „Religionsgesellschaft“ heute mit einer ziemlich radikalen Abwendung vieler, die das geduldet haben oder sich dem ausgeliefert fühlten. Immer mehr Menschen erlauben sich zu prüfen, wer Respekt verdient hat und wer nicht.

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    1. Da sagst Du was!
      Wieso eigentlich solche Dinge immer viele, viele Jahrzehnte brauchen, um thematisiert zu werden, erschliesst sich mir nicht. Oder dann doch wieder:
      Alle gesellschaftl. Änderungen brauchen dicke Zeit, um ein paar Dezimeter vorwärtszukommen. Die Mühlen mahlen generell langsam.

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    1. Ich bin ja in Franken groß geworden, da gab es zu 97% Katholische. Wie es bei euch war, weiß ich leider nicht.
      Diese Zeit als Kind vergisst man so leicht nicht. Auch weil mit viel Angst gearbeitet wurde.

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  6. an unsrer Schule schlug nur der Pfarrer. Mich schlug er nie aber meine Schwester hatte er mal im Visier. Sie hatte eine “dumme” Frage gestellt. Sie musste die Hand ausstrecken und als er mit dem Zeigestock ausholte um draufzuschlagen schrie sie: ” I sags meiner Mama”. Sofort hörte er auf. Er hatte mächtig Respekt vor meiner in seinen Augen gottlosen Mutter. Nie wieder versuchte er meine Schwester zu schlagen.

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          1. In Bayern durfte vielleicht länger geschlagen werden. Meine Mutter hasste alles, was mit Kirche zusammenhing und ging da auch nie hin. Ich wäre am liebsten jeden Tag in die Kirche gegangen. Aber das durfte ich höchstens Sonntags.

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