Da hätt’ ich noch was…

Klumpfuß, Zeichnung in den 90ern

Im Jahr 2020 geht es dank Christiane munter mit den Etüden weiter.
Die Wortspende stammt diesmal von Ludwig Zeitler.
Ich beteilige mich gerne an dem Projekt.
Folgende Worte sind zu verwenden:

Rumpelkammer
mutvoll
zehren.

*

Ich trete an einen Laden mit Trödel.
Manchmal bin ich ganz begierig zu schauen, einfach nur so.
Insgeheim hoffe ich natürlich auf etwas, das niemand sonst interessieren mag, aber für mich einen hohen Wert hätte.
Etwa ein antikes Schachspiel, bei der zwar zwei, drei Figuren fehlen, aber diese mehr oder wenig kunstvoll durch anderes ersetzt worden sind, etwa eine große Schraube. Noch besser wäre allerdings ein Dufresne mit einer kleinen Abhandlung des Spiels. Von einem solchen Erwerb könnte ich fürwahr länger zehren.

Das ganze Geschäft wirkt wie eine Art Rumpelkammer.
Schon kommt flugs ein alter Mann durch einen unscheinbar schmalen Gang heraus und sagt zu mir: “Guten Morgen, schön, nicht?
Mutvoll wäre, zu sagen: “Naja, geht so”.
Aber ich traue mich nicht.

Er verfolgt meinen Blick. Wohin dieser mein Blick auch geht, er ist mit seinem im Schlepptau. Einer Kopfwendung meinerseits folgt sein Kopf. Wie zwei Marionetten.

Unschuldig und auch ein wenig müde jetzt ruhen meine Augen auf einer kleinen verbeulten Teekanne.

“Schön, nicht?!…Ein Kleinod, nicht wahr?!…Kommen Sie mit, da hinten hätt’ ich was für Sie”.
Und ich folge tatsächlich nach, in das Dunkle und Miefige seines Ladens.

Dahinten drinnen, im Gewühl, hat er noch weitere Kleinode, sogar kleine Äfflein aus Messung, Zinnsoldaten, Würfel mit Becher, Stäbe und Zirkelkästen.

Er sieht meine helle Freude und überreicht mir … sein Kernstück. Ja, einen kleinen Globus aus Plastik, in wundersamen Farben: Das Meer darauf ganz blau, die Berge sattgrün, die Fassung golden.

“Das bekommen Sie zum Vorzugspreis.”

Torkelnd nehme ich es, zahle meinen Obulus, habe gerade genug in der Hosentasche und wackele hinaus, so schnell es durch die Enge geht.

Er winkt mir nach, doch ich merke es kaum. Ganz malad bin ich! Ganz malad!

Was soll ich nun mit dieser Plastikerde, frage ich mich? Wie ein Klumpfuß kommt mir das Ding vor.

Idee!
Vorsichtig stehle ich mich zurück und lege sie flugs draussen neben der kleinen Teekanne ab.

Aus den Augen, aus dem Sinn. Uff, Glück gehabt.

*

23 thoughts on “Da hätt’ ich noch was…

  1. Ja, es ist schwer, aber ich habe inzwischen echt Übung, mir nichts Potthässliches mehr aufschwätzen zu lassen. Ob ich aber in so einer Situation gänzlich ungeschoren davongekommen wäre, bezweifle auch ich. Man will ja nicht unhöflich sein.
    Gerhard, es gibt gerade mal wieder Schwierigkeiten mit den Pings (deiner kam nicht durch), magst du mir bitte einen Kommentar mit dem Link schreiben?
    Liebe Grüße
    Christiane

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  2. gefällt mir sehr, auch sprachlich. Diese Beklommennheit, wenn die Augen eines anderen die eigenen Augen verfolgen und man sich nicht traut, weder zu gehen noch sich abzunabeln, und am Ende steht man mit etwas da, was man weden haben wollte noch brauchen kann

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  3. Die Geschichte erzählt von einer beispielhaften Situation, in der es so unglaublich schwer fällt, sich zu verweigern. So eine jedes Jahr am Strand wieder eine hässliche Sonnenbrille oder das zigtse geflochtene Armband zu kaufen, oder sich wider besseres Wissen in ein Wachturmgespräch verwickeln zu lassen. Die Erwähnung des beeinträchtigen Gehens passt gut dazu, vor allem mit dem Weglegen des unfreiwilligen Ballasts. Finde ich gut gelungen.

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    1. Danke Dir, Heide!
      Da habe ich manches miteinander verwoben.
      Die Klumpfußzeichnung fiel mir erst im Nachhinein ein – Gottseidank habe ich da einen gewissen Vorrat.
      Das von Dir erwähnte Wachturmgespräch kannst Du auch zu anderen Themen heutzutage haben: Bei einem Umzug vor 3 Jahren wohl quatschte mich einer von “rechts” zu, der andere von “links”, damals zum Flüchtlingsthema. Ich wollte danach nur eins: Flüchten!

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