Besuch auf einer Erinnerungsstätte

Meiner Frau zeigte ich am 5.5.2019 den Ehrenfriedhof /die Kriegsgräberstätte bei Gemünden / Main-Spessart.
Ich war schon einige Male dort.

Statue

Seit Mitte der Fünfziger existiert diese Anlage.

Geht man über sie, stellt man fest, daß dort ab und an für ganz junge Männer ein Gedenkstein zu finden ist: 20-Jährige, 19-Jährige, auch 16-Jährige finden sich darunter.
Auch Frauen und alte Männer sind dort verzeichnet.
In Gemünden fand Anfang April 1945 ein Kampf um die Stadt statt.

Ein Onkel von mir ist dort auch in den Registern verzeichnet. Er war der 1. Sohn väterlicherseits.
Knapp nach seinem 29. Geburtstag ist er in Kuban/Russland gefallen.
Kurz zuvor war er auf Heimaturlaub, zusammen mit meinem (zukünftigen) jüngeren Vater, der woanders stationiert war, und er erzählte ihm bei dieser Gelegenheit, daß er  sicher nicht mehr heimkommen würde.
Das ist etwas, das mir mein Vater immer wieder erzählt hat.
Dem war auch so: Er fiel am 22.7.1943. Man hat dort in Kuban eine Stellung (für einen erneuten Zugriff) zu halten versucht, die gerade an diesem Tag maximalem Artilleriefeuer ausgesetzt war.

Ich lernte meinen Onkel nie kennen: Er war gelernter Kirchenmaler, Musiker (Geige)  und ein weltgewandter Mensch. Seine wenigen Gemälde sind verschollen.
Als Sohn einer musischen Mutter erbte er womöglich ihre diesbezüglichen Gene und auch in mindestens zwei Enkeln dieser Mutter lassen sich diese kunstwilligen Gene  finden.

Ich fand nur 2 Besuchereinträge für 2019 im Besucherbuch der Gemündener Anlage. Heißt das, daß solche Stätten immer weniger besucht werden?

 

20 thoughts on “Besuch auf einer Erinnerungsstätte

  1. Ja, Gerhard, dein Beitrag passt perfekt zu meinem Beitrag zu Evas Stories. Ich werde ihn in die Kommentare verlinken.
    Einen schönen sonnigen Tag, trotz der schweren Gedanken wünscht dir Susanne

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  2. Wenn der Schrecken der verheerenden Folgen des Kriegs ihre Wirkung verliert, versiegt auch der Wille, sich energisch für den Frieden einzusetzen. Ein eindrucksvoller Post über deine Gedanken von deinem Besuch der Gedenkstelle in Gemünden, lieber Gerhard!

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  3. Vielleicht braucht es ein konkretes Gefühl der persönlichen Verbundenheit, so wie bei dir. Menschen auf der Suche nach familiären Wurzeln besuchen unbekanntere Erinnerungsstätten und Friedhöfe, oder vielleicht mal Neugierige, weil die Gestaltung interessiert, aber “einfach so” um den historischen Umständen zu gedenken, wohl eher nicht, solange es kein als bedeutsam geltendes Mahnmal ist.

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    1. Es wirkt ein wenig verbraucht. Ein Ehepaar, das wir trafen, meinte, daß sie einen ähnlichen Friedhof in Zypern besucht hätten, und der wäre sehr gut gepflegt gewesen.
      Für mich ist es eben erschütternd, daß auch 16-jährige Männer damals vor Ort gefallen sind.

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      1. In dem Ort am Neusiedler See, in dem ich ein Dutzend Jahre lebte, kam ich mit vielen älteren Menschen ins Gespräch, auch über die Nazizeit und die Kriegsereignisse. Direkt hinter dem Haus, in dem wir zuerst wohnten, verlief der sogenannte Südostwall, und bei der Ankuft der Roten Armee wurden die letzten vierzehn- und fünfzehnjährigen Jungs dort massakriert, während die älteren Männer anderswo im Krieg waren. Ich weiss nicht woran es liegt, ob geredet oder geschwiegen wird, das Problem des Schweigens gab und gibt es ja in vielen Familien, auch bei uns, früher. Mein Vater war 1945 gerade 17 geworden und wurde noch eingezogen. Er hat erst angefangen, etwas über diese Zeiten zu äussern, als ich schon längst aus dem Haus war, und eigentlich konnte er seine Erlebnisse auch nur ziemlich emotional reduziert niederschreiben. Man muss die Lücken mit anderen Informationen füllen, um sich auch nur ansatzweise vorstellen zu können, was alles fehlt.

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        1. @ puzzleblume – meine Mutter hat einmal versucht ihre Erinnerungen, auch an den Krieg, ihrer Flucht und allem Erlebtem für uns aufzuschreiben, irgendwann rief sie mich an und sagte, dass sie das nicht könnte, auf mein warum sagte sie: ich halte das kein zweites Mal mehr aus, wenn ich anfange über diese Zeit nachzudenken, dann beginne ich am ganzen Körper zu zittern und dann weine und weine ich.
          Wir können dieses tiefe Leid unserer Elterngeneration nur erahnen, egal wer was erzählt, wieviele Informationen es gibt und ich finde eben auch, dass wir Verständnis und Mitgefühl dafür aufbringen sollten, wenn sie Lücken in den Geschichten gelassen haben oder sie erst gar nicht aufschreiben konnten.
          @ Gerhard – gestern erschien bei Susanne Haun ein interessanter Artikel zu zeitgemäßer Geschichtsvermittlung für die heutige Schüler*innengeneration, das fand ich spannend.
          Und ich selbst kenne eine Menge junger Leute, die interessiert sind und auch emotional betroffen, je mehr sie über diese unsägliche Zeit erfahren.
          Ich selbst besuche nie Kriegsdenkmäler, manchmal gehe ich über einen jüdischen oder andere alte Friedhöfe …
          herzliche Grüße an euch beide,
          Ulli

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            1. Sie war da schon weit über 70 und wollte da nicht mehr hinschauen, ich habe ihren Wunsch respektiert. Therapie wäre für sie undenkbar gewesen. Aber du hast natürlich Recht, wenn sie dafür offen gewesen wäre, dann hätte das Ganze vielleicht an Schärfe verloren, aber du und ich wissen, dass Therapie auch Zeit braucht …

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          1. Meine Eltern hatten ihrs gemeinsam aufgeschrieben, das hat sicherlich dabei geholfen, denn für sie war jnichts davon bis dahin noch einander unbekannt gewesen. Dass man seinen Kindern nicht alles mitteilt, ist für mich leicht zu akzeptieren, ich habe es umgekehrt nie anders gehalten, warum sollte ich also ausgerechnet als Erwachsene unverhältnismässige Forderungen stellen?

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        2. Die meisten Opfer konnten nicht über das Erlittene reden, zu wem denn. Zudem waren sie manchmal traumatisiert.
          Mein Vater kam recht krank nachhause, warum , darüber weiß ich nichts.
          Man guckte dann in der Nachkriegszeit nach vorne, das war wohl das Einzige, was ging.
          Man weiß aber aus der Psychologie, was Verdrängung anrichten kann. Auch weiß man, daß traumatisierte Menschen aus einem Gebiet ihr Leid “epigenetisch” weiterreichen, oft mehrere Generationen. Deshalb ist es nicht damit getan, zu sagen: Schwamm drüber.
          Wenn man über die vielen Jahrhunderte an Krieg in Europa nachdenkt, dann wird einem schwummrig.

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          1. Dass “Schwamm drüber” nicht heilsam sein kann, äussert sich ja nur allzu oft in andren, körperlich ausagierten Leiden. Mir ist jedenfalls unverhältnismässig oft begegnet, auch als Touristin in Frankreich, dass mit Fremden der spontane Kontakt mit seiner Unverbindlichkeit eher zu solchen emotional bewegten Gesprächen geeignet scheint. Die Rollenverteilung innerhalb einer Familie scheint viel mehr zu blockieren als das Fremdsein.

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            1. Ja, das kann durchaus sein.
              Ich habe ja auch an dieser Gedenkstätte mit jemand anderes sprechen müssen. Gerade die “berühmte” Rede: “Wollt Ihr den… ” war mir noch im Ohr. Da ging es ja um die Mobilisierung der allerletzten Reserven.

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  4. Kann sein, dass den meisten Deutschen der Krieg heute fern ist. Mir nicht, da, wie ich schon öfter erwähnte, mein Vater 1942 in Russland fiel und ich so ohne Vater blieb.
    Warum der Krieg schlecht ist? “Im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Kriege aber der Vater die Söhne”.Herodotos (um 485 – um 425 v. Chr.),

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    1. Von dem 1. Sohn mütterlicherseits, der auch fiel, war nichts zu finden in dieser Stätte.
      Mein Vater erzählte immer wieder von den drei Vorfällen, bei denen er fast umkam. Jetzt weiß ich , wieso.
      Vaterlose Kinder gab es also auch in meiner Familie. Die Frau meines Onkels, der in Russland fiel, hat nie mehr geheiratet und starb früh.

      Ich denke, die heutige Jugend, die dritte Generation der Nachkriegskinder, ist weit entfernt von den Greueln. Aber wie wäre es, wenn sie sähen, daß ihresgleichen, kaum den Kinderschuhen entronnen, schon sterben mussten?

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